Herr Dr. Raczkowsky, Sie leiten bereits seit 1994 die Arbeitsgruppe „Medizinische Robotik“ am Karlsruher Institut für Technologie. Können Sie kurz erklären, was unter roboterassistierter Chirurgie zu verstehen ist und wie sie funktioniert?
Unter roboterassistierter Chirurgie versteht man die Nutzung eines Roboters während einer chirurgischen Operation als automatisiertes/fortgeschrittenes Werkzeug durch einen Operateur. Durch seine Programmierbarkeit lässt sich das Robotersystem an die individuellen Gegebenheiten (Anatomie und Pathologie) von Patienten anpassen.
Roboter weisen grundsätzlich eine hohe Wiederholgenauigkeit auf. Um diese am Patienten als hohe Präzision anwenden zu können, ist eine Registrierung des Roboters auf den Patienten notwendig. Je sorgfältiger diese Prozedur ausgeführt ist, umso präziser kann die Operation stattfinden. Dazu werden heute stereoskopische Kamerasysteme für die Registrierung und Navigation verwendet.
Der größte Teil der Operation wird nach wie vor manuell durchgeführt:
- Einrichten der Technik – Platzieren/Kalibrieren/Registrieren der Geräte
- Schaffung des Zugangs zum Operationsgebiet (Situs)
- Überwachung des Ablaufs und Ausführung von Roboteraktionen
- Abschließen der Operation (z.B. Zunähen des Patienten).
Roboter dienen grundsätzlich als Positionierungssysteme entweder von Werkzeugen oder Objekten, im Fall der Chirurgie von Patienten. Sie können in zwei verschiedenen Modi betrieben werden. Im Automatik-Modus führen sie entsprechend einer Planung selbstständig, vom Operateur überwacht, Aktionen aus.
Im Fall der Telemanipulation führt der Operateur die Arme des Robotersystems (z.B. DaVinci) direkt anhand des endoskopischen Kamerabildes über Steuerknüppel. Der Operateur ist somit der „Kopf“ des Systems und übernimmt komplett die Funktion der Steuerung.
Über die Chirurgie hinaus spielen Roboter heute eine immer größere Rolle bei der intraoperativen Diagnostik (Siemens) und Bestrahlung (Accuray).
In welchen Bereichen wird die roboterassistierte Chirurgie denn vorwiegend eingesetzt?
Das heute am häufigsten eingesetzte chirurgische System mit Robotertechnologie ist DaVinci. Mit ihm lassen sich minimalinvasive Operationen telemanipuliert ausführen mit einer besseren Ergonomie für den operierenden Arzt. Ursprünglich für Herzoperationen gedacht, findet der häufigste Einsatz von DaVinci inzwischen in der Urologie und dort insbesondere bei Prostata-Totalresektionen statt.
Mit der inzwischen vorhandenen Erfahrung weitet sich das Einsatzgebiet auf andere Operationen im Abdominalbereich aus. Grundsätzlich eignet sich das System für alle Operationen, die mit starren endoskopischen Werkzeugen ausgeführt werden können.
Durch das Konzept der Telemanipulation ohne Navigationsunterstützung ist eine absolute Genauigkeit nicht realisierbar. Der steuernde Arzt entscheidet allein aufgrund seiner Sicht auf das Operationsfeld mittels Stereoendoskop.
Eine zahlenmäßig geringere, aber anwachsende Zahl von Systemen nutzt die Positioniergenauigkeit von Robotern in einem vermessenen Raum. Beispielsweise können damit in der Neurochirurgie (Renishaw) oder in der Knochenchirurgie (Mako, Mazor) sehr hohe Genauigkeiten erreicht werden, ohne die bisher eingesetzten Schablonen und Rahmen verwenden zu müssen. Damit lassen sich die Systeme flexibler nutzen.
Welche Vorteile hat das System für den Patienten?
Für den einzelnen Patienten ergibt sich direkt durch die Ausführung seiner Operation mit einem Robotersystem als minimalinvasive Operation der wesentliche Vorteil einer kürzeren Krankenhausliege- und Rekonvaleszenzzeit. Vorausgesetzt natürlich, dass die Operation selbst qualitativ hochwertig ausgeführt ist.
Auf längere Sicht soll der Einsatz von Robotern in der Chirurgie die Qualität einer Operation ähnlich zur produktiven Industrie sichern. Der Ablauf einer Operation (häufig durch Bildgebung unterstützt) wird als Workflow bezeichnet. Dieser kann durchgehend protokolliert und dokumentiert werden, um einen Qualitätszyklus aufzubauen, der hin zur evidenzbasierten Chirurgie führt.
Gibt es denn auch weitere innovative Bereiche, in der das DaVinci-System Einsatz findet? Ich denke hier an die erstmals durchgeführte Leberresektion mittels DaVinci, die am Universitätsklinikum Erlangen durchgeführt wurde.
Wie oben schon gesagt, weitet sich das Einsatzgebiet von DaVinci anhand der Erfahrung in der Handhabung des Systems aus; so geschehen in Erlangen. Wirklich innovativ könnte das System erst eingesetzt werden, wenn das Konzept über seine heute bestehende Form wesentlich erweitert würde: Einbindung von Planungsmodellen basierend auf der Bildgebung und ihre intraoperative Visualisierung Integration von intraoperativer Navigationsunterstützung.
Wie schätzen Sie die Entwicklungen ein: Wird zukünftig zunehmend mittels Robotertechnik operiert werden? Wird gar irgendwann der Operateur selbst durch Robotertechnik ersetzt?
Robotertechnologie wird in künftigen Operationssälen integriert sein wie heute die intraoperative Bildgebung in einem modernen Hybrid-OP. Sehr wichtig ist die nahtlose Nutzung zielgerichteter Daten und Informationen durch das Operationspersonal und die assistierenden Systeme für den optimalen Ablauf einer Operation. Das Ziel ist ein verzahntes “Miteinander” von Personal und Technik um jede Operation zum bestmöglichen Ergebnis zu führen.
Technologisch wird es auf der Geräteseite natürlich künftig immer wieder Fortschritte und Neuentwicklungen geben. Insbesondere die Miniaturisierung von flexiblen chirurgischen Werkzeugen (Single Port, NOTES) spielt hier eine große Rolle. Durch sie wird die Traumatisierung durch chirurgische Eingriffe weiter reduziert.
Robotische Funktionalität erhöht die Ergonomie von chirurgischen Arbeitsplätzen und garantiert eine bessere Leistungsfähigkeit des chirurgischen Personals. Dies kommt letztendlich allen Patienten zugute.
Operateure können und sollen durch automatisierte Systeme nicht ersetzt werden. Vielmehr stellen diese eine Erweiterung der Fähigkeiten von Operateuren dar. Deshalb wird neben der Werkzeugentwicklung ein immer stärkerer Fokus auf die Verbesserung der Mensch-Maschine-Schnittstelle gesetzt.