Matthias Altendorf, CEO von Endress+Hauser, im Interview über smarte Sensoren, die Chancen des Internet der Dinge und die Bedenken seiner Kunden. Das Schweizer Familienunternehmen beschäftigt als international führender Anbieter von Prozess- und Labormesstechnik, Automatisierungslösungen und Dienstleistungen weltweit über 13.000 Mitarbeiter.
Matthias Altendorf
CEO Endress+Hauser
Herr Altendorf, wie smart sind Sensoren für die industrielle Produktion heute?
Das ist natürlich immer eine Frage der Definition. Aber wenn wir mal davon ausgehen, dass ein „smarter“ Sensor über einen Mikroprozessor verfügt und einen Messwert digital übertragen kann, dann kann man schon seit 30 Jahren digital kommunizieren. Heute sind neun von zehn Sensoren in diesem Sinne „smart“. Die große Kunst dabei ist, dass der Sensor eben nicht nur den reinen Messwert überträgt, sondern sinnvolle Zusatzinformationen liefert – also „Content plus Kontext“.
Zusatzinformationen?
Heute werden bis zu 97% der Sensor- und Prozessdaten noch nicht genutzt. Das hängt mit der bisher verfügbaren Infrastruktur und der Leistungsfähigkeit der Rechner zusammen. Mit den heutigen Lösungen und Cloud-Anwendungen werden wir immer mehr dieser Daten für den Menschen nutzbar machen können.
Welchen Ansatz verfolgt Endress+Hauser in der Digitalisierung?
Wir unterstützen unsere Kunden dabei, in der Industrie 4.0 und im Kontext des „Internet der Dinge“ betriebswirtschaftlich erfolgreich zu bleiben und erfolgreicher zu werden. Konkret kommt es auf den einzelnen Kunden an.
Wir können helfen, effizienter und effektiver zu produzieren, Energieverbrauch und Ausschuss zu senken, Qualität und Stückzahlen zu erhöhen. Das ist das Potenzial der größeren Transparenz und smarten Verkettung von Geschäftsprozessen. Wir helfen unseren Kunden, in der Produktion mehr mit weniger zu erreichen – und so mehr Kraft für anderes, für Neues, für Innovation zu haben.
Müssen Sie diesbezüglich eigentlich noch viel Überzeugungsarbeit leisten? Oder geht es meist nur noch um die Implementierung?
Es braucht nach wie vor viele Gespräche. Zuerst muss natürlich klar werden, dass wir beim Thema Digitalisierung helfen können. Und dann geht es auch um verschiedene Ängste und Sorgen, die wir ausräumen möchten. Wir alle sind ja nicht befreit von Bedenken.
Was passiert mit den Daten? Hole ich mir mit der neuen Technik neue Schwachstellen ins Haus? Da geht es konkret um den Schutz des geistigen Eigentums, aber auch um ein übergeordnetes, zeitgemäßes Sicherheitsverständnis. Also erstens: Was ist der Nutzen für den Kunden? Und zweitens: Wie gewähren wir die Sicherheit?
Es gibt die Meinung, dass mehr Sensoren, mehr „Smart Technology“ quasi automatisch auch mehr Sicherheitslücken bedeuten.
Dieses Argument halte ich für einen Denkfehler. Denn je größer ein Netz ist, je feiner die „Maschen“ sind, umso schneller fällt doch ein Problem auf, und umso schneller lässt es sich beheben. Denken Sie zum Beispiel ans Finanzwesen: Wohin bringen wir unser Geld, wenn wir welches übrig haben? Natürlich zur Bank.
Weil die Menschen dort sich damit auskennen und weil es dort sicherer ist als zuhause unterm Kopfkissen! Dieses Prinzip gilt auch für die Cloud-Dienstleister: Je mehr Teilnehmer, je mehr Daten, je mehr Verbindungen entstehen, umso besser können die Profis, die jeden Tag daran arbeiten, das Ganze sinnvoll und sicher gestalten. Das Gleiche gilt für die Sensorik und die Industrie 4.0: je mehr dran teilnehmen, umso sicherer wird das System.
Leuchtet ein. Ein weiteres Thema, bei dem es große Bedenken gibt, ist die Frage nach den Folgen der Automatisierung. Sagt irgendwann nur noch der eine Sensor zum anderen „Schick mal den selbstfahrenden LKW los“? Machen wir uns durch die smarte Technik überflüssig?
Das erinnert mich an die Diskussionen, als ich ins Berufsleben eingestiegen bin. Damals hieß es, es gebe keine Zukunft, weil der Computer erfunden wurde; Microsoft und Co. würden quasi für den Weltuntergang sorgen. Das Gegenteil ist passiert: Es wurden mehr Arbeitsplätze geschaffen als vernichtet, die Produktivität und auch der Wohlstand sind gestiegen – und so wird es auch mit der Digitalisierung sein.
Ich bin überzeugt: Am Ende des Tages werden wir in der Summe mehr Arbeit haben – aber es wird andere Arbeitsinhalte und andere Arbeitsformen geben. Gewisse Tätigkeiten werden automatisch einfach effizienter erledigt. Maschinen machen, was Maschinen besser können – und wir Menschen konzentrieren uns auf intuitive und kognitive Leistungen. Unser Bildungs- und Ausbildungssystem müsste viel stärker auf diese neuen Anforderungen ausgerichtet werden. Kreativität und Vorstellungskraft werden als Ressourcen immer wichtiger.
Ihr Wort im Ohr der Kultusministerkonferenz! Was ist mit „der Cloud“? Auch hier wird gerne eingewandt, dass hier ein immer höheres Sicherheitsrisiko quasi im System angelegt ist.
Viele Kunden wollen ihre Daten unbedingt „bei sich“ behalten, es wird als selbstverständlich empfunden, dass man selbst größere Sicherheit gewährleisten kann. Aber die Cloud-Lösungen, die von den großen Anbietern – Microsoft, Amazon, SAP und so weiter – zur Verfügung gestellt werden, sind absolut verlässlich. Diese Unternehmen haben selbst das allergrößte Interesse daran, dass ihre Systeme sicher sind. Kein kleineres Unternehmen kann auch nur annähernd eine vergleichbare Expertise einbringen. Das ist wie mit unseren Sensoren: Wer sich lange Zeit auf etwas konzentriert, wird besser sein als andere, die es nur „nebenbei“ machen!
INFORMATION
Sensoren sind die Sinnesorgane einer Produktionsanlage: Sie messen physikalische Zustände wie Durchfluss, Füllstand, Druck oder Temperatur oder analysieren Stoffe qualitativ und quantitativ. So sorgt Messtechnik etwa dafür, dass Milch beim Pasteurisieren genügend, aber nicht zu lange erhitzt wird, und Kläranlagen gründlich arbeiten, ohne Energie zu vergeuden.
Endress+Hauser ist ein international führender Anbieter von Prozess- und Labormesstechnik, Automatisierungslösungen und Dienstleistungen. Das Familienunternehmen mit Sitz in Reinach/Schweiz zählt weltweit über 13.000 Mitarbeiter – davon 5.400 an verschiedenen Standorten in Deutschland – und erzielte 2017 mehr als 2,2 Milliarden Euro Umsatz.
Matthias Altendorf (Jahrgang 1967) hat seine Karriere bei Endress+Hauser mit einer Lehre als Mechaniker begonnen, an die sich Studium, Auslandsaufenthalt und Weiterbildungen anschlossen. 2009 wurde er ins Executive Board berufen; 2014 übernahm er die Leitung der Firmengruppe. Matthias Altendorf ist verheiratet und Vater eines erwachsenen Sohnes.
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