In unserer schnelllebigen, komplexen Welt spielen Vorhersagemodelle eine immer größere Rolle. Das Beispiel Smart City Garbsen zeigt, wie das intelligente Sammeln, Übertragen und Auswerten von Daten dazu beiträgt, Prozesse zu optimieren, die Umwelt zu schonen und den Alltag angenehmer und sicherer zu gestalten.
Daniel Wolter
Geschäftsführer Stadtwerke Garbsen
Maximilian Roth
Chairman der Business Development Committee Mioty Alliance
Herr Wolter, wie steht es um die Digitalisierung in Deutschland?
Daniel Wolter: Vielleicht vorab eine Definition – gemeint ist hier nicht der reine Übergang von der analogen in die digitale Welt und damit lediglich ein technologischer Fortschritt. Die Digitalisierung von „Smart Citys“ bzw. „Smart Regions“ meint die Datenübertragung, Datenmodellierung und den daraus generierten Mehrwert für Endanwender. Mit intelligenten Systemen und der Auswertung von Daten lassen sich Vorhersagen treffen, die den Alltag angenehmer und sicherer und den Verbrauch von Ressourcen effizienter gestalten.
Viele Unternehmen und Institutionen würden hier gerne aktiver werden, können es aber nicht, weil es noch an Infrastruktur fehlt. Aktuell ist man sich an verschiedenen Stellen nicht einig, ob erst die Infrastruktur aufgebaut sein sollte, um dann Projekte zu entwickeln, oder ob man umgekehrt erst Ideen ausarbeiten sollte und die Infrastruktur folgt. Das verzögert die Prozesse.
Woran liegt das, wer ist verantwortlich?
DW: Wir dürfen die Verantwortung nicht zu sehr auf den Staat oder auf Einzelne schieben, sondern sollten Digitalisierung als Gemeinschaftsaufgabe verstehen. Es gilt, möglichst flächendeckend Begeisterung zu erzeugen und Ängste zu nehmen. Digitalisierung kann eine große Hilfe sein, durch sie kann echter Mehrwert entstehen. Wenn wir das als Gesellschaft verstanden haben – die Bürger, die Schulen, die Universitäten, die Unternehmen, auch die Politik – dann können wir viel bewegen.
Meines Erachtens brauchen wir hier mehr Pragmatismus – und die Vorstellungskraft zu sehen, welche Möglichkeiten sich durch Digitalisierung bieten. Es fehlt auch an Mut, einfach anzufangen; im Wissen, es ist vielleicht noch nicht alles perfekt, aber auch mit der Zuversicht, dass wir Lösungen finden.
Maximilian Roth: Wir sehen in der Industrie, z. B. im Automotive-Bereich und bei verschiedenen Stadtwerken, dass zunehmend in Digitalisierung investiert wird, aber branchenübergreifend betrachtet ist das ausbaufähig. Es gibt vielfach die Haltung „das haben wir doch seit Jahren so gemacht, warum muss man in etwas Neues investieren?“. Andererseits können Technologieanbieter den Mehrwert noch besser aufzeigen. Warum ist es so wichtig, die Digitalisierung voranzutreiben? Was genau sind die Vorteile, wenn ich jetzt in neue Technologien investiere?
Welche Vorteile kann die Digitalisierung bieten?
DW: Wir können die Daten aus vielen verschiedenen Systemen sammeln, dafür haben wir Sensoren an unterschiedlichen Orten, welche die Daten übertragen. Wir werten sie aus, treffen damit Vorhersagen und können entsprechend reagieren. So können wir mit Hilfe von Daten z. B. den Verkehr sicherer, angenehmer und umweltschonender gestalten. Wir sehen, wann welche Achsen genutzt werden, wo Engpässe sind oder wo es vielleicht auch eine Überversorgung gibt. Wir können dazu beitragen, dass Bürger zufriedener mit ihrer Stadt sind, indem wir beispielsweise die Müllentsorgung mit Hilfe von Daten optimieren: Daten können dazu beitragen, dass Mülleimer rechtzeitig geleert werden, nicht dann, wenn der Eimer schon randvoll ist, aber auch nicht zu früh. Auch in den Bereichen Governance, Gesundheit, Kultur oder Mobilität – überall hier können wir mit Daten Angebote optimieren und Bedarfe erkennen.
Garbsen wird aktuell zur Smart City gestaltet. Wer ist hier die treibende Kraft?
DW: Mit dem Diginauten E.V. bringen wir in der Region Hannover verschiedene Beteiligte an einen Tisch. Das ist wichtig, weil man für die Digitalisierung alle braucht, kommunale und private Unternehmen, die Stadt, die Vereine, die Bürger – sie alle sind als Mitglieder vertreten. Wir brauchen die Begeisterung aller, um den Wandel voranzutreiben und wir können nicht abwarten, bis die Bedingungen perfekt sind.
Damit all das funktionieren kann, braucht es auch die geeignete Infrastruktur. Herr Roth, wie sieht diese aus?
MR: Dafür liefern wir, die mioty alliance, neue Lösungen, auch für die Stadtwerke Garbsen. Zentral ist hierbei das LPWAN (Low Power Wide Area Network) mioty, ein neuer Standard, der vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS entwickelt wurde – übrigens vom gleichen Institut, das vor vielen Jahren auch MP3 entwickelt hat. Mit mioty lassen sich Daten über hohe Reichweiten übertragen, z. B. Sensordaten zu Temperatur, Feuchtigkeit, Luftdruck usw. Die zu übertragenden Datenmengen sind vergleichsweise klein.
Was genau ist mioty?
MR: Die mioty-Technologie basiert auf dem „Telegram Splitting“. Dieses neue Übertragungsverfahren ist sehr robust und zuverlässig. Gleichzeitig ist die Technologie gut skalierbar, es lassen sich Hunderttausende Sensoren einbinden, und sie ist sehr energieeffizient. Die Batterien der Sensoren halten bis zu 20 Jahre. Wir erforschen auch aktuell die Möglichkeit, Energy Harvesting zu nutzen – hier geht es darum, Energie aus der Umgebung zu generieren, z. B. durch Vibration, die auf einer Brücke entsteht, wenn sie befahren wird.
Die Daten werden per mioty übermittelt. Wir können mit ihnen z. B. den Wasserverbrauch nahezu in Echtzeit anzeigen; wir sehen, wann es Anomalien wie einen zu hohen Wasserverbrauch gibt und können sofort reagieren. Wir können auch Pegelstände überwachen, um z. B. die Bevölkerung rechtzeitig bei Hochwasser zu warnen oder Einsatzkräfte zu alarmieren. Die Anwendungsmöglichkeiten sind sehr vielschichtig.
Um möglichst viel Mehrwert für Endanwender zu schaffen, haben wir uns vor ca. drei Jahren zur mioty alliance zusammengeschlossen. Zunächst waren es acht Mitglieder, jetzt sind es über 40, darunter z. B. Industrieunternehmen wie Texas Instruments und Diehl Metering, Forschungsinstitute wie das Fraunhofer IIS und Endanwender wie die Stadtwerke Garbsen. Die Projekte, für die es Sensoren, Basisstationen, Backends und Cloud Systeme braucht, setzen wir gemeinsam in der Allianz um.
Dann verändert sich auch die Art der Datenerhebung?
MR: Aktuell sind die meisten Anwendungen im Bereich Digitalisierung noch immer stark auf die Beobachtung von Prozessen ausgerichtet, also auf Monitoring. Wir glauben, dass die Intelligenz deutlich zunehmen wird, dass wir Beziehungen herstellen und direkt darauf reagieren können. Der Steuerungsaspekt, auch mit Hilfe von KI, wird immer wichtiger. Wir gehen zudem davon aus, dass Infrastruktur immer umweltfreundlicher wird, auch weil es möglich sein wird, für Anwendungen mit geringem Energiebedarf zunehmend auf Batterien zu verzichten, indem wir die benötigte Energie aus Energy Harvesting beziehen.
Wäre ein Wandel heutzutage ohne Daten und Digitalisierung überhaupt noch händelbar?
DW: Nicht in dieser Geschwindigkeit. Die Welt wird immer komplexer. Wir haben heute andere Herausforderungen als frühere Generationen und wir müssen schneller reagieren können. Dafür müssen wir die richtigen Daten erheben, die richtigen Daten auswerten und auch die richtigen Schlüsse ziehen. Für das alles braucht es intelligente Ansätze, Skalierbarkeit, eine zukunftsfähige Infrastruktur – und Begeisterung. Dann lässt sich viel erreichen.
Das sind wir – diginauten e. V.
Wir sind die diginauten, ein Verein, bei dem Bürger*innen, Unternehmen, Vereine, Verbände, Verwaltung und Bildungseinrichtungen sich gemeinsam dafür stark machen, dass ihre Stadt digitalisiert und dadurch smarter wird.