Dirk Steffens
In seinem Job fängt Dirk Steffens die Schönheit der Natur ein. Im Interview erklärt der „Terra X“-Moderator, was jeder tun muss, um diese nicht zu zerstören.
1. Boris Johnson begrüßte die Staats- und Regierungschefs auf der COP26 in Glasgow am 1.11. mit den Worten, dass es 1 Minute vor Mitternacht auf der Weltuntergangsuhr sei. Was sagen Sie angesichts des Weltklimas: Wie spät ist es?
Fünf nach zwölf. Politischer Zweckoptimismus hilft ja irgendwann nicht mehr weiter. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir, wenn wir realistisch sind, einräumen müssen: Die Klimakrise ist nicht mehr zu verhindern, wir können allenfalls noch ihr Ausmaß begrenzen und die Folgen managen. Das 1,5 Grad Ziel ist zwar theoretisch noch erreichbar, aber das ist eine rein naturwissenschaftlich-technische Betrachtung, die die Untiefen des menschlichen Verhaltens außer Acht lässt. Tatsächlich sind die aktuellen Treibhausgas-Emissionen, aller grünen Rhetorik zum Trotz, so hoch wie nie zuvor. Und eine zügige Trendwende ist nicht in Sicht. Dieser bitteren Wahrheit müssen wir uns stellen. Der Weltuntergang ist das aber noch nicht, jedenfalls kein vollständiger.
2. 2021 zeigten sich vielerorts weltweit Extremwetter, zum Beispiel große Hitze (um die 50 °C) in Kanada, sintflutartige Regenfälle im deutschen Ahrtal zugleich aber auch Dürre in Deutschland, um nur 2 Beispiele aus Nah und Fern zu nennen: Wie erklären sich solche extremen Wetter? Würden Sie hier bitte auch kurz den Unterschied Wetter – Wetterlage – Klima erläutern?
Ganz simpel ist Klima das gemittelte Wetter von vielen Jahren. Ein heißer Sommer macht noch keine Erderwärmung, mehrere ungewöhnlich heiße Jahrzehnte in Folge aber schon. Und die aktuelle Erwärmung erstreckt sich schon über etwa zweihundert Jahre, sie beginnt mit der Industrialisierung. Ob einzelne Ereignisse, seien es nun die Waldbrände in Australien, in Kanada, in Sibirien oder die Fluten und Extremwetter in Deutschland, jeweils mit dem Klimawandel zusammenhängen, ist nicht immer klar zu sagen.
3. Eine aktuelle Studie des Weltklimarates sagt eine Zunahme von Extremwettern voraus – ist daran der Klimawandel Schuld? Was ist der Klimawandel? Müssen wir auch hierzulande mit mehr und extremeren Wettern rechnen?
Es gibt inzwischen einen ganzen Forschungszweig, der sich mit dieser Frage befasst. Die Attributionsforschung untersucht die Zusammenhänge zwischen Wetterextremen und Klimawandel. So wissen wir inzwischen, dass die globale Erwärmung den Jet Stream in der Troposphäre verändert, der für unsere Großwetterlagen eine entscheidende Rolle spielt. Dadurch können Hoch- oder Tiefdrucklagen beständiger sein, was dann natürlich die Wahrscheinlichkeit von Hitzewellen oder Regenfluten erhöht. Im Grunde ist es für die Entscheidungen, die wir politisch und wirtschaftlich zu treffen haben, aber gar nicht wichtig, ob nun diese Flut und jenes Feuer jeweils zweifelsfrei auf die Klimakrise zurückzuführen ist. Diese Art von Präzision ist oft nicht möglich aber auch gar nicht nötig. Denn zweifelsfrei fest steht: Das Klima ändert sich und deshalb sind Extremwettereignisse wahrscheinlicher. Das kann man sich vielleicht so ein bisschen wie bei einem starken Raucher vorstellen: Wir wissen zweifelsfrei, dass Tabakkonsum sich sehr negativ auf die Gesundheit eines Menschen auswirkt. Trotzdem kann man nicht sagen, dass jede Erkältung, die ein Raucher im Laufe seines Lebens erleidet, direkt auf seine Sucht zurückzuführen ist. Aber insgesamt wird er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit doch deutlich mehr Atemwegserkrankungen bekommen als ein Nichtraucher. Und auch früher sterben. Also sagen wir völlig zu Recht: Weg mit den Zigaretten. Und genau so sicher können wir sagen: Runter mit den Treibhausgasemmissionen, denn sie machen das Weltklima krank.
4. Was ist der menschengemachte Klimawandel – womit zerstören wir unser Klima – was müssten wir dringend anders machen?
Das ist inzwischen Allgemeinwissen: Durch die anthropogenen Treibhausgase, vor allem CO2, verändern wir die Zusammensetzung der Atmosphäre. Energiereiche Sonnenstrahlen treffen auf die Erde, werden zu Wärmestrahlen und die werden von der veränderten Atmosphäre daran gehindert, in den Weltraum zu entweichen. Jeder kann das selbst in einem Gewächshaus spüren: Wenn die Sonne scheint, ist es auch ohne Heizung drinnen wärmer als draußen, weil das Glas so ähnlich wirkt wie CO2 in der Luft. Deshalb heißt das Ganze ja auch Treibhauseffekt. Und was wir anders machen müssen? Eigentlich alles. Alles muss sich ändern, damit möglichst viel so bleiben kann, wie es ist. Subventionen für klimaschädliche Produktionsweisen müssen weg, wir brauchen eine grüne Finanzwirtschaft, Steuern müssen endlich dafür eingesetzt werden, auch wirklich etwas zu steuern, etwa indem nachhaltige Produkte mit geringeren Mehrwertsteuersätzen konkurrenzfähiger gemacht werden. Das Umweltministerium sollte genau wie das Finanzministerium eine Art Veto-Recht bekommen, um die Entscheidungen anderer Ressorts zu korrigieren und, ich bin ja ein großer Freund der freien Marktwirtschaft, wir müssen die Verantwortung der Marktteilnehmer stärken, das Verursacherprinzip: Wer Profite macht und dabei Allgemeingut schädigt, etwa Wasser, Luft und Böden, muss dafür haften. Und zwar ohne Kompromisse. Kohlekraftwerke wären dann sehr schnell sehr unrentabel, weil man etwa die vielen tausend jährlichen Todesfälle durch verschmutzte Luft finanziell kompensieren müsste.
5. Wie kann jeder Einzelne noch heute anfangen, Verantwortung zu übernehmen? (3 Schritte)
Am Schnellsten, also noch heute, kann jeder und jede über die Ernährung nachdenken. Die industrielle Landwirtschaft, insbesondere der viel zu hohe Fleischkonsum, sind wichtige Treiber des Klimawandels. Da können wirklich alle etwas tun. Sofort. Und dann: Wie wir wohnen, reisen, fahren, uns kleiden, was wir kaufen und verbrauchen, welche Ressourcen wir verwenden und wie wir was recyceln – jeder Mensch trifft jeden Tag viele Entscheidungen. Muss es immer Rindfleisch sein, ist das Leben wirklich so unerträglich, wenn man nicht jeden Tag Avocados und Mangos isst, kann ich mir die Kompensation meines Urlaubsfluges wirklich nicht leisten, das neue Surfboard aber schon? Jede Entscheidung hat Folgen.
6. Was müssen wir in Deutschland tun, um mit den bereits irreversiblen Klimaänderungen künftig zu (über)leben (LW, Architektur, Deiche)?
Wir in Deutschland investieren ja gerade viel in Flutschutzmaßnahmen, was Millionen und Milliarden verschlingt, die man hätte sparen können, wenn die Politik früher auf die Wissenschaft gehört hätte. Aber tatsächlich ist es sinnvoll, jetzt darüber nachzudenken, welche Veränderungen uns am besten durch die Klimakrise bringen. Das kann sich übrigens auch lohnen. Ich bin sicher: Eine Volkswirktschaft, die jetzt nachhaltige Mobilitätskonzepte, Städteplanungen, neue Energieformen und andere nachhaltige Produkte und Technologien entwickelt, erarbeitet sich damit auf dem Weltmarkt eine pole position für den Wettbewerb der Zukunft.
7. Schaffen wir das? Können wir das Klima so erhalten, dass wir damit leben können? Lässt sich die Weltuntergangs-Uhr anhalten oder gar zurückdrehen?
Keine Ahnung. Das weiß niemand. Aber weil wir keine Alternative haben, ist die Frage eigentlich auch sinnlos. Optimismus ist Pflicht.