Der industrielle 3D-Druck verändert die Welt der Fertigung. Entscheidend ist, die Technologie zu verstehen und passende Anwendungen zu identifizieren.
Nikolai Zaepernick
Senior Vice President Central Europe, Strategy und Business Development bei EOS
Können Sie erläutern, was industrieller 3D-Druck ist?
Beim industriellen 3D-Druck handelt es sich um ein fortschrittliches Produktionsverfahren. Dabei schmelzen Laser pulverförmiges Material Schicht für Schicht auf. So entsteht aus digitalen 3D-Konstruktionsdaten ein reales Bauteil. Anstatt ein Werkstück aus einem festen Block zu fräsen, wird nur dort Material verschmolzen, wo es die Geometrie des Bauteils erfordert. Nicht verschmolzenes Pulver kann wiederverwendet werden. Als Werkstoffe können unterschiedlichste Kunststoffe wie auch Metalle verarbeitet werden.
Welche Vorteile bietet diese Technologie?
Der wesentliche Vorteil des 3D-Drucks ist, dass man nahezu frei in der Auslegung des Bauteils ist. So erlaubt die Technologie höchst komplexe Strukturen, die gleichzeitig extrem leicht und stabil sein können. Funktionsoptimierung und -integration sind ebenso möglich. Mittlerweile werden Bauteile in der Luftfahrt eingesetzt, die weniger als die Hälfte wiegen, aber die gleiche Funktionalität erfüllen. Dabei ist es dem 3D-Drucker übrigens gleichgültig, ob man in einem Arbeitsschritt 100 identische oder 100 individualisierte Teile fertigt. Das ist ein gewaltiger Vorteil, beispielsweise in der Herstellung von patientenspezifischen Zahnkronen.
Was empfehlen Sie Unternehmen mit Blick auf den 3D-Druck?
Ich denke, es ist generell entscheidend, dass sich Unternehmen rechtzeitig mit Technologien beschäftigen, die Disruptionspotenzial haben – so auch mit dem 3D-Druck. Dabei gilt jedoch: keine Scheu vor der Technologie. Oft kann es sinnvoll sein, mit kleineren, weniger funktionsentscheidenden Bauteilen anzufangen. So kann innerhalb des eigenen Unternehmens das Potenzial des industriellen 3D-Drucks aufgezeigt, Vertrauen in die Technologie aufgebaut und ein Umdenken initiiert werden. EOS unterstützt hier als führender Technologieanbieter im 3D-Druck umfassend, beispielsweise mit den Applikationsingenieuren der Abteilung „Additive Minds“. Unsere Experten vermitteln Unternehmen umfassendes Know-how – von der Auswahl und Optimierung passender Bauteile bis hin zu Aufbau und Inbetriebnahme kompletter 3D-Druck-Fertigungsstätten. Dabei helfen wir bei der Minimierung von Investitionsrisiken und bei der Erzielung von klaren Wettbewerbsvorteilen.
Der industrielle 3D-Druck – eine europäische Antwort auf die Digitalisierung
Bisher sind es vor allem Unternehmen aus den USA, wie zum Beispiel Amazon oder Apple, die in der Debatte über eine digitale Transformation als erfolgreiche Beispiele herhalten. Der industrielle 3D-Druck erlaubt jedoch europäischen Unternehmen, im globalen Wettbewerb aufzuschließen. Seine Vorteile: Er bildet die Schnittstelle zwischen der digitalen und der materiellen Welt. Er nutzt die besonderen Stärken der Firmen im Produktionsumfeld hierzulande und knüpft direkt an die Industrie 4.0 an.
Denn mittlerweile dient der 3D-Druck nicht mehr allein dazu, Prototypen herzustellen. Längst lassen sich damit Komponenten und Endteile in Serie produzieren. Dabei soll nicht zwangsläufig eine additive die konventionelle Fertigung ersetzen. Ziel ist die lückenlose und effiziente Integration in die bisherige Produktion.
Individualisiertes Massenprodukt
Nur ein Beispiel, wie sich der 3D-Druck auf diese Weise mit der digitalen Transformation verbindet: Sportschuhe sind bekanntlich ein Massenprodukt. Jedes Modell hat seine fest definierte Größe. Es gibt jedoch inzwischen Schuhhersteller, die dank 3D-Druck die Schuhe mit einer gedruckten und individualisierten Sohle anbieten. Der Kunde wählt Muster, Farbe, Dämpfungsverhalten und Dekoelemente. Der 3D-Druck macht so aus einem standardisierten Massenprodukt ein individualisiertes Massenprodukt.
Auch Kundeninteraktion und Vertrieb ändern sich: Im Gegensatz zum heutigen Verkaufsprozess ist eine Software erforderlich, die jedem Kunden eine spezifische Schuhkonfiguration ermöglicht und ein fertiges digitales Datenmodell der Sohle erstellt. Es braucht „Flagship-Stores“ nur noch, um den Abverkauf zu stimulieren, eine einmalige digitale Vermessung der Fußgeometrie durchzuführen und den Kunden emotional zu binden. Der Käufer kann danach das Produkt online konfigurieren, bestellen und bezahlen.
Da der 3D-Druck-Bauprozess nur wenig menschliche Interaktion erfordert, braucht es keine arbeitsintensive Produktion im Ausland mehr. Damit kann der Schuh dort produziert werden, wo er abgenommen wird. Das reduziert außerdem den Aufwand an Logistik. Und sollte mal ein einzelner Schuh verloren gehen – kein Problem: Es gibt ja immer die digitale Ausgangsdatei. Der Hersteller kann schnell nachproduzieren, ohne physisches Lager und die damit verbundenen Kosten.
Spannend wird es aus Sicht eines Schuhherstellers auch bei folgenden Fragen: Ist eine zentrale, auf Skaleneffekt ausgelegte Fertigung überhaupt noch zeitgemäß? Oder sind kleine, lokale Fertigungszellen stattdessen effektiver? Können bestehende, globale Druckerkapazitäten dritter Anbieter für einzelne Aufträge genutzt werden?
Chance für den Wirtschaftsstandort Deutschland
Das Schuhbeispiel ist nur eines von vielen, wie sich die Produktionswelt künftig verändert. Es ist schon lange deutlich, dass die digitale Transformation heutige Geschäfte radikal beeinflussen wird. Mit dem industriellen 3D-Druck kommt eine weitere Dimension hinzu. Der Vorteil hierzulande: Sowohl die Kompetenz zukunftsweisender Produktionstechnologie als auch die Pioniere des industriellen 3D-Drucks besitzen zu großen Teilen immer noch europäische Wurzeln.
In diesem Wandel liegt deshalb eine große Chance, die Vorreiterrolle Europas und insbesondere Deutschlands im industriellen Umfeld global weiter auszubauen. Dabei ist gerade Deutschland Exportweltmeister und sowohl führend in Werkzeugmaschinen- und Anlagenbau als auch in der für die Vernetzung und den Betrieb erforderlichen digitalen Infrastruktur. Seine Differenzierung sind hochpräzise Anlagen, verknüpft mit einer Kommunikation in Echtzeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. In Bezug auf die digitale Transformation gilt es nun, hierzulande die Produktion von der konventionellen Technik hin zur Digitalisierung weiterzuentwickeln, um die globale Führungsrolle Deutschlands zu wahren. Eine Schlüsseltechnologie der digitalen Fertigung ist dabei der industrielle 3D-Druck.